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20 Jahre bis zu Diagnose HAE

In meiner Kindheit mag ich mich gut daran erinnern, dass es meiner Mutter oft unwohl war und dass sie sich mit einem „Becken“ in ihr Schlafzimmer zurück zog. Von uns Kindern wurde in dieser Situation jeweils verlangt, dass wir uns dann ruhig verhalten sollten. Wenn unsere Verwandten davon erfuhren, hiess es dann immer, sie hätte die „Süüch“. Auch manchmal hatte meine Mutter plötzlich ein ganz geschwollens Gesicht, aber man wusste eigentlich nicht wieso und warum.

Ca. 1975 erfuhr meine Mutter von Prof. Streuli, Langenthal, was sie eigentlich hatte, dass diese Symptome auf HAE zurückzuführen sind. Von da an nahm sie täglich zur Prophylaxe Cycklokapron. Und so wie ich mich noch daran erinnern mag, ging es ihr eigentlich von da an sehr gut.
Und nun zu mir. Ich mag mich noch sehr gut daran erinnern, dass es mir in meiner Kindheit oft schlecht war, dass ich so einen dicken geschwollenen Bauch hatte und dass ich Erbrechen musste, bis manchmal nur noch die „Galle kam“. Meine Mutter war der Überzeugung, dass das dieselben Symptome wie bei ihr waren, nämlich jene von HAE. Wir gingen zum Hausarzt einen Bluttest machen, welcher dann aber negativ ausgefallen war. Und so meinte ich, dass ich kein HAE hatte.
Aber als ich mit 20 Jahren zur Verhütung die „Pille“ nahm, da hatte ich zum ersten Mal eine starke Schwellung im Gesicht, über welche ich sehr erschrocken war. Von da an war es offensichtlich, dass ich HAE hatte, und auch das Blut hat nun angezeigt. Anfänglich probierte ich dann die Pille zusammen mit Cycklokapron zu nehmen, aber ich hatte dann jeweils monatlich immer starke Ödeme im Bauchbereich, so dass ich in dieser Zeit jeweils „flach“ lag und arbeitsunfähig war. Nun belastete mich dies sehr, dass ich monatlich während 3 Tagen arbeitsunfähig war, aus diesem Grund empfahl mir dann der Hausarzt zur Verhütung die Spirale einsetzen zu lassen. Und von da an kam ich mit täglichem Cycklokapron-Einnahme und etwa 3 Bauch-Ödem-Anfälle jährlich durch mein Leben.
Aber nach etwa 2 Jahren hatte ich plötzlich immer Durchfall und täglich so ab 15.00 Uhr starke Rückenschmerzen, so dass ich fast nicht mehr sitzen konnte. Nach verschiedenen Untersuchungen, Darmspiegelung, RückenRöntgen hatte man die Ursache immer noch nicht herausgefunden. Mein Hausarzt meinte schon, dass ich mir diese Schmerzen einbilde, und dass ich zu Depressionen neige. Aber ich war immer der Überzeugung, dass diese Beschwerden im Zusammenhang mit HAE waren. Aus diesem Grund verlangte ich von meinem Hausarzt, dass er mich an Prof. Streuli, Langenthal zur weiten Abklärung überweisen sollte. Aber da er gar nicht dieser Meinung war, musste ich mich selber bei Prof. Streuli anmelden. Prof. Streuli hatte dann grosse Freude wieder einmal eine HAE-Patientin zu sehen. Als ich ihm meine Symptome erzählte, war ihm sofort klar, dass diese Beschwerden auf HAE zurückzuführen waren. Denn meinen Magen-/Darm-Bereich war dauernd geschwollen – aus diesem Grund hatte ich immer Durchfall – und meine Beckenmuskulatur konnte gegen Ende des Tages diese geschwollenen Organe nicht mehr halten, aus diesem Grund hatte ich Rückenbeschwerden. Prof. Streuli verschrieb mir dann Danatrol, welches männliche Hormone beinhaltet. Von da an ging es mir eigentlich beschwerdefrei. Zwar hatte Danatrol einige Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme von ca. 8 kg, starker erhöhter Haarwuchs an den Beinen und im Gesicht, und auch meine Stimme wurde ein wenig tiefer. Aber ich war so froh, dass es mir wieder gut ging, dass ich mir diese Beschwerden nicht einbildete, so dass ich nicht als „Depressive“ abgestempelt wurde, dass ich diese Nebenwirkungen in Kauf nahm. Prof. Streuli hatte mich dann auch noch genau über HAE informiert, dies konnte mein Hausarzt bisher überhaupt nicht. Er teilte mir auch mit, dass bei Ödemen im Gesichtsbereich nicht zu spassen sei, dass dann ein spezielles Präparat, welches in Kantonsspital Olten vorrätig sei, gespritzt werden müsse. Er stellte mir dann auch folgenden Notfallausweis aus, welchen ich von da an immer in meinem Portemonnaie trug.

Ich nahm dann Danatrol während etwa 10 Jahre täglich und war im grossen ganzen beschwerdefrei. Wegen der Nebenwirkungen beschloss ich mit der Einnahme von Danatrol aufzuhören. Ich denke auch, dass ich persönlich, mit dem älter werden, psychisch stärker geworden bin, und dass mich eine Schwellung nicht mehr so stark belastete, wie mit 20 Jahren. Ich setzte Danatrol langsam ab und siehe da mir ging es sehr gut. Ausser ein paar schwachen Ödemattacken im Magenbereich, welche kaum erwähnenswert waren, hatte ich 1 ½ Jahre nichts. Dann kam aber der 1. Mai 2001, innert 6 Stunden war mein ganzes Gesicht angeschwollen. Da diese Schwellung so rasch gekommen ist, hat es mir plötzlich Angst gemacht und ich habe mich entschlossen ins Kantonsspital Olten zu fahren um mir dieses Präparat, welches auf meinem Notfallausweis erwähnt war, zu spritzen. Als ich im Spital ankam erschrak der Assistenzarzt sehr, denn so etwas hätte er noch nie gesehen. Zur Diagnose-Stellung holte er auch noch den Chefarzt. Zum Glück hatte ich diesen Notfallausweis dabei, denn ohne diesen wäre es sehr schwierig gewesen, denn Ärzten klar zu machen, was ich überhaupt habe. Aufgrund meines Notfallausweises war es aber nun den Ärzten nicht möglich herauszufinden wie dieses Präparat wirklich heisst. Sie mussten sogar den Kantonschemiker (es war Samstag) aufbieten, damit er ihnen mitteilen konnte, dass dieses Präparat Berinert HS heisst. Aber leider war nun Berinert HS im Kantonsspital Olten nicht vorrätig, es musste zuerst ausfindig gemacht werden, woher das Produkt beschafft werden konnte. Zum Glück hatte das Kantonsspital Aarau Berinert HS am Lager. 3 Stunden nach Spitaleintritt wurde mir nun endlich mittels Infusion Berinert HS gespritzt. Von da an ging die Geschwulst zwar noch nicht zurück, aber der Druck lies nach und die Geschwulst wanderte nicht mehr weiter. Zur Sicherheit auf Nebenwirkungs-Reaktionen blieb ich noch eine Nacht im Spital. Und am nächsten Tag ging die Geschwulst dann zurück.
Ende Juni 2001 fand dann das erste Treffen von HAE-Betroffenen in Olten statt. Ich besuchte dieses Treffen mit grossem Interesse und stellte fest, wenn dieses Treffen vor dem 1. Mai 2001 stattgefunden hätte, dass ich dann gewusst hätte, dass dieses Präparat Berinert HS heisst. Ich hätte auch einen offiziellen Notfallausweis gehabt, welcher alles sicher einfacher gemacht hätte, auch die Angst und Hilflosigkeit, wie lange, dass es dauerte bis mir das Kantonsspital Olten helfen konnte, wäre nicht gewesen.
Aus diesem „schlechten“ Erlebnis wurde mir klar, dass für die Verbesserung der Umstände im Zusammenhang mit HAE noch viel gemacht werden muss. Und dies hat mich bewogen bei der HAE-Vereinigung aktiv mitzuarbeiten.

Autorin Helene Saam