Am Ende meiner Schulzeit musste unsere Familie beim Hausarzt antraben. Bei meiner Mutter und uns drei Geschwister wurde eine Blutentnahme wegen einer Erbkrankheit verordnet.
Resultat: Bei meiner Mutter eindeutig Blutwerte, welche auf die Krankheit hinwiesen. Bei uns drei Geschwister seien die Werte auch nicht ganz im Normbereich, wobei ich die „Schlechtesten“ aufwies.
Der Hausarzt meinte noch, ich werde ganz sicher nie diese Krankheit bekommen, da ich ja bis zu diesem Zeitpunkt auch noch nie erkrankt war.
Mit dieser Aussage gaben sich meine Eltern damals zufrieden.
Meiner Mutter wurde weder ein Notfallausweis ausgestellt, noch wussten wir einen Namen für die „Bauchattacken“, was für mich zu einem späteren Zeitpunkt, fast lebenswichtig gewesen wäre.
Ein paar Jahre später, ich war Ende meines ersten Lehrjahres als Krankenschwester tätig, verspürte ich plötzlich einen „Kloss“ im Hals. Wenn ich redete hörte es sich an, wie wenn ich eine Kartoffel im Mund hätte. Sogar meine Patienten sprachen mich darauf an.
Ich machte mir vorerst jedoch keine weiteren Sorgen, da ich auch keine Halsschmerzen verspürte.
Etwa eine halbe Stunde später war mein Dienst auf der Pflegeabteilung zu Ende. Ich ging zum Kiosk im Spital und holte mir eine Glace, in der Meinung, dass das komische Gefühl im Hals dann schon wegginge.
Aber leider nichts dergleichen. Das „Klossgefühl“ im Hals blieb. Nun meldete ich mich spontan auf dem Notfall von unserem Spital.
Der Arzt hat mich „abgetan“ mit einer Gurgellösung.
Im Personalhaus, wo ich damals wohnte, habe ich diese dann sofort ausprobiert. Doch sobald ich meinen Kopf nach hinten halten wollte zum Gurgeln, machte es mir im Hals vollständig zu. Gurgeln war also nicht möglich.
Mittlerweilen war ca. 1½ Stunden vergangen, als ich plötzlich Mühe mit Atmen bekam. Jetzt war mir definitiv nicht mehr wohl bei dieser Sache, also begab ich mich erneut in den Notfall.
Nun befragten mich die Ärzte intensiver, vor allem ein damaliger Assistenzarzt wollte wissen, ob wir in der Familie eine Erbkrankheit hätten. Ich bejahte dies, meine Mutter hatte ja irgend so etwas.
Nun schickte mich dieser Arzt (ganz alleine) auf die Intensivstation, wo das ganze Frage- / Antwortspiel von vorne losging.
Leider Gottes hatte dieser Arzt seine Vermutung eines HAE, den Ärzten auf der Intensivstation nicht weitergegeben.
Mittlerweilen atmete ich bereits äusserst mühsam ein und aus. Das Engegefühl im Hals war nicht mehr zu überhören. Die diensthabende Ärztin war mit ihrem Latein bei mir schnell mal am Ende und telefonierte dem leitenden Oberarzt nach Hause. Nach etlichen hin- und herfragen mit dem Arzt, mit mir und meinen Eltern, leuchtete bei diesem Arzt plötzlich ein Lämpchen auf. (Ich muss auch hinzufügen, dieser Arzt war fachlich super.)
Es könnte die seltene Krankheit HAE sein.
Sofort wurde mir eine Infusion gesteckt und FFP (frisch gefrorenes Blutplasma) angehängt, da Berinert damals noch nicht verfügbar war.
Höchste Zeit!
Eine Intubation (künstliche Beatmung) war nicht mehr weit entfernt.
Plötzlich ging alles sehr schnell, ich wurde wie eine „Schwerkranke“ behandelt.
Damals konnte ich dies gar nicht begreifen, hatte keine Ahnung, dass ich jetzt „Glück im Unglück“ hatte.
Auslöser für mein Larynxödem war damals die Pilleneinnahme, mit der ich einen knappen Monat vorher begonnen hatte.
Für mich war lebensrettend, dass ich selbst im Spital gearbeitet habe und durch das, die ganze Zeit über, in Spitalnähe geblieben bin.
Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn dieses erste Auftreten von HAE, bei einer Wanderung oder im Ausland ausgebrochen wäre.
Nach vier Tagen Spitalaufenthalt und einem Notfallausweis in der Hand konnte ich, trotz leichter Übelkeit, nach Hause.
Was ich nicht ahnen konnte, der nächste Anfall war schon in den Startlöchern.
Am nächsten Tag konnte ich mich kaum noch aus dem Bett gegeben. Mir war kotzübel mit starkem Erbrechen und heftigen, kolikartigen Schmerzen unterhalb des Brustbeins. Mit knapper Not, ich war todmüde, konnte ich meiner Nachbarin klopfen, die auch sofort kam.
Wieder Spitaleintritt, wieder Infusionen. Zusätzlich ein innert Minuten auftretendes Fussödem, ich begriff nicht mehr, was mit mir geschah.
Aber auch das ging vorüber.
Nach vier solchen Spitalaufenthalten innert 3 Monaten, war ich dann eingestellt mit Cyklokapron Tabletten.
Nachdem ich lange Zeit Ruhe hatte vor solchen Anfällen, kam es in den Schwangerschaften erneut zu Anfällen.
Mit meinem Notfallausweis und mittlerweilen besseren Informationen, wussten nachher auch alle Ärzte im Spital besser, wie sie sich verhalten mussten.
Ich bin froh, hatte ich selbst nie mehr ein Ödem in den Luftwegen. Das umso mehr, weil ich während meiner Intensivausbildung einen Patienten mit HAE hautnah erlebt hatte, der beinahe verstickt ist.
Das hat mir gezeigt, wie rasant (innert Sekunden!!!) ein Larynxödem auftreten kann und wie traumatisch solch eine Situation sein kann. Für den Patienten, wie auch für mich!
Aus diesen Gründen habe ich Mühe, wenn es auch heute noch HAE Patienten oder Ärzte gibt, welche diese Krankheit auf die leichte Schulter nehmen.
Sicher lernt man mit dieser Krankheit zu leben, aber gute Aufklärung der Patienten und der Ärzte können lebensrettend sein.
Autorin Susanne Otter